Beate Plenge berät Unternehmen und Schüler in Sachen Ausbildung und weiß, wo die Defizite liegen
Frau Plenge, viele Ausbildungsunternehmen klagen, dass die Qualität der Bewerber in den vergangenen Jahren stark nachgelassen hat. Erwarten die Firmen zu viel?
Beate Plenge: Die Unternehmen fordern ein Interesse am Beruf und Lernbereitschaft. Interesse zeigen ist das Wichtigste. Als Auszubildender sollte man Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit mitbringen, pünktlich und zuverlässig sein. Eigenverantwortliches Arbeiten ist auch ein Thema. Was kann ich, wo sollte ich nachfragen – das müssen Auszubildende schon differenzieren können. Ich denke nicht, dass das zu viel verlangt ist.
Viele junge Erwachsene bringen diese Fähigkeiten aber nicht mit.
Plenge: Und da liegt auch das Problem. Die Unternehmen müssten sehr viel Zeit und Mühe investieren, um die Auszubildenden dahin zu bringen, selbst mitzudenken.
Wer hat denn versagt, das Elternhaus oder die Schule?
Plenge: Im Elternhaus sollten die Kinder und Jugendlichen zumindest Eigenschaften wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit lernen. Aber auch, dass man sich anständig anzieht, wenn man zu einem Vorstellungsgespräch geht. Die Schulen sollten die Jugendlichen mehr in die Verantwortung nehmen.
Aber das hat sich doch nicht geändert. Dennoch erzählen Geschäftsführer immer wieder von der „guten alten Zeit“. Früher hätte man bei den Bewerbern aus dem Vollen schöpfen können.
Plenge: Ich denke, dass die Ausbilder Eigenverantwortlichkeit, Initiative und Selbstständigkeit vermissen. Davon bringen die Bewerber heute tatsächlich weniger mit. Das liegt daran, dass unsere Kinder zu behütet aufwachsen. Ich weiß das, ich habe selber drei. Eltern versuchen, ihren Kindern immer alles abzunehmen, alles für sie zu organisieren. Wir fahren sie überall hin. Eltern sollten da mehr loslassen und ihre Kinder mehr in die Pflicht nehmen. Denn in der Schule wird in dieser Hinsicht auch nicht viel geprägt.
Müsste das Schulsystem da an einigen Stellen nachgebessert werden?
Plenge: Ja. Meiner Meinung nach wird es immer schwieriger, die eben genannten Fähigkeiten bei jungen Erwachsenen auszubilden, je länger sie in der Schule sind. In der Schule werden sie weltfremd. Ein Beispiel: Egal, welche Aufgabe Schüler bekommen, allein der Versuch, sie zu bewältigen, wird schon honoriert. Das ist natürlich in der Ausbildung nicht so. Da reicht ein halbherziger Versuch eben nicht aus, um zu bestehen.
Und fachlich?
Plenge: Ich habe neulich etwas Interessantes gelesen. Da hat eine Schülerin nach ihrem Abschluss gesagt, dass sie jetzt zwar Gedichte in zig Sprachen interpretieren kann, aber nicht wisse, wie man ein Konto eröffnet. Das sagt einfach alles über unser Schulsystem. Was die Schüler heute in der Schule lernen, ist gut und wichtig. Es sollten aber auch mehr Dinge im Lehrplan stehen, die näher am Leben sind. Sie glauben zum Beispiel nicht, wie oft ich mit Auszubildenden übe, wie man eine professionelle E-Mail schreibt. Da scheitert es schon an der passenden An- und Abrede. Das sollte auch in den Lehrplan gehören.
Welche Rolle spielen Noten bei der Ausbildungsplatzsuche?
Plenge: Das ist unterschiedlich. Noten vermitteln natürlich, in welchen Bereichen die fachlichen Stärken des Bewerbers liegen und ob diese ausreichen, um die Berufsschule zu schaffen. Die Bedeutung von Noten ist aber nicht so groß, wie man vielleicht denkt. Einsatz und Wille ist vielen Unternehmen wichtig. Trotzdem kann man am Zeugnis viel ablesen. Hat jemand beispielsweise viele Fehlstunden, ist das immer ein schlechtes Zeichen. Auch wenn einer in Sport und Religion nur eine vier hat, ist das einfach Faulheit. Man merkt einfach daran, ob jemand sich engagiert hat. Das gilt auch für die Bewerbung. Es kommt nicht darauf an, dass sie perfekt ist. Sie muss authentisch sein. Wenn ich Bewerbungen lese, will ich sehen, dass der Bewerber sich Mühe gegeben hat. Es bringt auch nichts, die Bewerbung von jemand anderem schreiben zu lassen. Spätestens im Vorstellungsgespräch würde der Schwindel auffliegen.
Was raten Sie Schülern, damit sie in der Ausbildung nicht ins kalte Wasser geworfen werden?
Plenge: Sie müssen raus, müssen über den Tellerrand schauen. Sie müssen mehr Verantwortung für ihren Kram übernehmen. Gut ist dafür ein Nebenjob oder auch ein Ehrenamt. Das bildet Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit aus. In Bewerbungen ist das immer sehr gerne gesehen. Und wenn der Bewerber nur Zeitungen ausgetragen hat. Es zeugt von Engagement und Willen. Nina Mützelburg